Selbstverständlich tolerant?
von Britta Jagusch
„Störfall Kindergarten“, titelte Spiegel Online vor Jahren, als es um den Lärm in Kitas ging. Damals ärgerte ich mich maßlos: Wie intolerant kann man nur sein, Kinder zu Lärmbelästigern zu degradieren und Kitabetreiber zu verklagen. Es gab seitdem viel Hin und Her. Studien über Kinderlärm und dessen gesundheitsschädliche Folgen wurden in Auftrag gegeben, Kitas mussten umziehen, Anwohner gingen vor Gericht, Lärmschutzwände wurden gebaut, Kinder dahinter betreut. Der Deutsche Kinderschutzbund machte sich Sorgen um die wachsende Intoleranz gegenüber Einrichtungen für Kinder und Jugendliche – ich auch!
Ist es nicht eine Selbstverständlichkeit, dass Kinder mitten unter uns aufwachsen, toben und spielen dürfen? Und was sind das eigentlich für Menschen, die sich auf ihr individuelles Ruhebedürfnis berufen und damit nicht etwa den Lärm von Autobahnen oder Flughäfen meinen, sondern spielende Kinder, unsere Zukunft?
Mit dieser toleranten Meinung und dem Unverständnis für alle diese intoleranten Nachbarn und engstirnigen Anwohner zog ich letzten Winter in ein neues Büro mit Blick auf die wunderschöne mit Bäumen besetzte Freifläche eines angrenzenden Kindergartens. Der Schnee dämpfte nicht nur die Schritte der Kleinen, sondern auch ihre Schreie. Wegen der Kälte waren die Aufenthalte im Freien immer recht kurz. Dann kam der Frühling.
Ja, ich weiß, Kinder sind unsere Zukunft, es ist ihr gutes Recht, draußen herumzutoben, zu schreien, sich zu streiten, mit hölzernen Spielzeugen gegen metallene Kinderrutschen zu schlagen oder einen Trecker mit defektem Auspuffrohr nachzuahmen. Es ist natürlich, dass Kinder sich kreischend auf und von Wippen und Schaukeln stürzen und sich ab und an Sand in die Augen werfen – begleitet von den unermüdlich ermahnenden Rufen der geduldigen Erzieherinnen und Erzieher, die nach einer längeren Phase ebenfalls eine Oktave höher rutschen und dann ganz und gar nicht mehr geduldig und verständnisvoll klingen.
Ist es da nicht verständlich, dass es mir schwerfällt, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, wenn Jonas gerade Anna ganz fürchterlich an den Haaren zieht oder das Singspiel im Freien geprobt wird? Da wundert es wenig, dass ich bei 35 Grad die Fenster lieber schließe oder mir kleine weiche Stöpsel in die Ohren stecke, mit Dämmwerten bis zu 35 Dezibel.
Doch was mich am meisten stutzig macht, ist meine eigentlich so tolerante Haltung, die mich auf einmal so unglaublich intolerant werden lässt, nämlich dann, wenn ich mir wünsche, dass es endlich Ferienzeit oder Kitafeierabend wird. Dass endlich Ruhe herrscht im Kinderlärmbetrieb. Dann heißt es wieder Toleranz-Üben üben. Kinder mitten unter uns machen das Leben lebenswert, auch wenn sie einem manchmal ganz schrecklich in den Ohren klingen.
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