Grenzen der Toleranz
von Oberkirchenrat Pfarrer Detlev Knoche, Leiter des Zentrums Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Die Welt ist zu einem Dorf geworden. Im Alltag begegnen wir Menschen, die von anderen Kulturen geprägt sind und die andere Lebensformen oder andere religiöse Überzeugungen leben. So sind die Fremden zu Nachbarn geworden, und es bedarf eines hohen Grades an Toleranz, um die Differenzen auszuhalten und den anderen in seiner Fremdheit anzunehmen.
Kann diese Toleranz Grenzen haben? Ich denke, es lässt sich leicht Einigkeit darüber erzielen: Sie endet dort, wo Menschenrechte verletzt werden und die Freiheit des anderen eingeschränkt wird. Ein prominentes Beispiel aus dem ökumenischen Zusammenhang ist der seinerzeitige Ausschluss der Niederländisch-reformierten Kirche Südafrikas aus dem Reformierten Weltbund. Apartheid verstößt gegen den Willen Gottes und seine in Jesus Christus offenbarte Liebe zu den Menschen. Eine Kirche, die Apartheid praktiziert, kann kein Mitglied im Weltbund der Reformierten sein. Toleranz hat sicherlich auch da ihre Grenzen, wo eine Gruppe einer ganzen Gesellschaft ihr Wertesystem auferlegen will.
Im Alltag sind aber oft die Grenzen der Toleranz nicht so eindeutig zu ziehen. Selbstbewusst an den eigenen Überzeugungen festzuhalten, ohne sie zugleich als allgemeingültig durchsetzen zu wollen – diese Balance zu halten bedeutet eine hohe Anforderung, auch in ökumenischen Partnerschaften. Ich erinnere mich an den Besuch einer Delegation der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in unserer südindischen Partnerkirche vor einigen Jahren. Zu dieser Gruppe gehörte auch eine Pfarrerin und Dekanin. Ihre Anwesenheit führte zu erheblichen Irritationen, denn in dieser Partnerdiözese ist es bis heute für Frauen nicht möglich, zur Pfarrerin ordiniert zu werden. Aber nach langen Gesprächen und vertrauensbildenden Maßnahmen sind dort mittlerweile Pfarrerinnen aus unserer Kirche bei Besuchen als Predigerinnen im Gottesdienst willkommen. Die Grenzen der Toleranz müssen eben immer wieder im Dialog und in der direkten Begegnung neu ausgehandelt werden. Die Freiheit dazu schenkt uns Jesus Christus, der die Gottes- und die Nächstenliebe zum höchsten Gebot erhoben hat.
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