Glaube und Toleranz - ein schwieriges Verhältnis
von Volker Rahn
In die Wiege ist Toleranz niemandem gelegt. Sie ist deshalb auch kein einfaches Thema für evangelische Christinnen und Christen. Manche sagen sogar: Sie ist der Schatten der Reformation. Tatsächlich geht es in Glaubensfragen bis heute in der Welt eher blutig als friedlich zu. So war es manchmal auch in der Geschichte der evangelischen Kirche.
Meist zählen Nehmerqualitäten
Toleranz ist eine Geste der Größe. Wer wie der Protestantismus als kleine Minderheit startet und sich dann durchsetzen muss, hat es schwer. Beim Überleben zählen Nehmerqualitäten und keine großen Gesten. Kampfesgeist ist mehr wert als Friedfertigkeit. Abschottung geht vor Öffnung. Die Quittung für diese zynische Logik erhalten die Menschen. Am Ende verliert der Glauben seine Glaubwürdigkeit.
Toleranz ist die Kehrseite der Freiheit
Die Geschichte der Toleranz in der evangelischen Kirche ist vor allem eine Lerngeschichte. Bitter und nicht selten blutig waren die Erfahrungen in den Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts. Sie wühlten Europa auf, rüttelten die Menschen wach und brachten verschüttetes Glaubensgut zum Vorschein. Zum Beispiel Jesu alte Einsicht, dass viele Menschen am Tisch Gottes Platz haben, egal wer sie sind und was sie machen. Entdeckt wurde die Toleranz auch als Kehrseite der Freiheit, auf die die Reformation einst so großen Wert gelegt hatte. Ja: Toleranz kann sich nur in Freiheit entfalten – und umgekehrt.
Die Geschichte der evangelischen Kirche erinnert daran, wie wertvoll und wie gefährdet Toleranz und Freiheit sind. Und der Glaube hält die Lust daran lebendig, Toleranz und Freiheit immer wieder neu zu entdecken, zu leben und zu bewahren.
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