Prof. Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann
Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017
„Toleranz bedeutet Interesse am anderen, am Gegenüber, an der anderen Religion oder am Nichtglauben, an der anderen politischen oder ethischen Option. Dazu braucht es Begegnung und Zeit für Gespräche, Bereitschaft zum Zuhören.Es geht darum, die Differenz auszuhalten um des friedlichen Zusammenlebens willen. Dazu ist Respekt notwendig für die andere Position, auch wenn es für mich manchmal schwer zu ertragen ist. Aber Toleranz heißt nicht Grenzenlosigkeit. Wahre Toleranz wird ihre Grenze an der Intoleranz finden und alles daran setzen, sie im Recht klar zu regeln. Zum Respekt gehört die Achtung vor der Integrität des anderen. Wo sie durch Rassismus, Sexismus, Erniedrigung, Gewalt oder Gewaltandrohung verletzt wird, ist die Grenze der Toleranz überschritten.
Oder, wie es der Göttinger Kirchenrechtler Michael Heinig ausgedrückt hat: ‚Toleranz meint in evangelischer Perspektive nicht, die Unterschiede zwischen den Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen zu ignorieren oder verleugnen. Doch sie prägt den Umgang mit der Differenz. …(Und:) Toleranz in evangelische Perspektive ist auf Gegenseitigkeit angelegt, setzt diese jedoch nicht voraus.‘
Toleranz meint somit keine statische Haltung, sondern ein dynamisches Geschehen auf Gegenseitigkeit. Und das gilt auch aktuell für Religionen und Gesellschaft. Nicht um Kleinmut oder Angst vor dem Konflikt geht es, sondern um streitbare Toleranz, die zur eigenen Position ermutigt, aber fähig ist zum Dialog, ja offen für Lernerfahrungen und Horizonterweiterungen. Im ersten Thessalonicherbrief heißt es: ‚Prüft aber alles, und das Gute behaltet.‘ (1 Thess 5,21).“
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